Worum geht es in Doctor Who eigentlich?

Was ist falsch an diesem Statement?

„In Doctor Who geht es um den Doctor, ein außerirdischer Time Lord vom Planeten Gallifrey, der die Fähigkeit hat, tödliche Verletzungen durch eine ‚Regeneration‘ in einen neuen Körper mit neuer Persönlichkeit, zu überleben.“

Streng genommen natürlich nichts. Dieser Satz, den ich von der an sich superen Fan-Seite von Shannon Sullivan übersetzt habe, ist sachlich vollkommen korrekt und wird, meist etwas variiert, immer wieder benutzt, um Doctor Who in groben Zügen zusammenzufassen.

Aber wenn es darum geht, zusammenzufassen was die Serie ausmacht, scheitert der Satz, und zwar kläglich. Er enthält Plot, Hintergrund und Namen, erklärt aber nicht einmal im Ansatz das gewisse Etwas, das Doctor Who seit 53 Jahren zur langlebigsten und natürlich auch objektiv besten Science-Fiction-Serie aller Zeiten macht. Aber warum? Und wie kann es sein, dass ein so großer Fan wie Shannon Sullivan seine Lieblingsserie so unter Wert verkauft?

Spulen wir ein paar Monate zurück. Hell Bent, die finale Folge von Staffel 9 wurde gerade ausgestrahlt (in Deutschland später als In Teufels Küche), und das zu überwiegend positiven Reaktionen. Die Kritiken sind überschwänglich, auf IMDb erhält sie die zweitbeste Durchschnittsbewertung der Staffel. Dass ich die Folge abgöttisch liebe, habe ich auch bereits ausreichend zu Protokoll gegeben.

Doch in der Fangemeinde regt sich etwas: Ein Widerstand. In den einschlägigen Communitys wird Hell Bent trotz der eigentlich sehr positiven Rezeption plötzlich zur Kontroverse: Zu wenig Gallifrey, zu viel Clara, zu viel Tot-doch-nicht-tot-Schabernack. Und vorgestern hat ein Fan auf Reddit die Episode kurzerhand so umgeschrieben, wie es ihm besser gefallen hätte: Clara fällt in seiner Version komplett weg, stattdessen konzentriert sich die Handlung darauf, dass der Doctor sich die Time Lords vorknöpfen will.

Mal ganz abgesehen davon, ob der genaue Plot gut ist, dieser Beitrag ist symptomatisch für eine eigenartige Untergruppe von Doctor Who-Fans, die sich meinem Werteverständnis von gutem Fernsehen so komplett widersetzt, dass es mir schwer fällt, mich überhaupt halbwegs objektiv damit zu beschäftigen. Dass eine einstündige Konfrontation mit der elend langweiligen Heimatrasse des Doctors wichtiger oder interessanter sein könnte als das Ende der über zweieinhalb Staffeln erzählten Geschichte von Clara und dem Doctor, entzieht sich vollkommen meiner Vorstellungskraft.

Die Time Lords sind cool. Aber sie sind nur cool, wenn sie in den Hintergrund treten. In all den besten Time Lord-Geschichten sind sie nur Teil des Schauplatzes für das eigentliche Drama, das sich zwischen den Hauptfiguren abspielt. Im Patrick Troughton-Klassiker The War Games ist dies der Abschied von den Companions Jamie und Zoe. Im Hörspiel Neverland die Spannungen zwischen dem Doctor und Charley Pollard. Aber wenn Doctor vs Time Lords plötzlich zum Zentrum der Geschichte wird, landet man bei apathischem Käse wie der Colin Baker-Staffel Trial of a Time Lord.

Hell Bent versteht diese Tatsache und nutzt das Setting Gallifrey, um anfangs den Doctor in einen Kontext zu setzen und später die Geschichte von Clara und ihm zu Ende zu erzählen. Wir bekommen einige kurze neue Einblicke in die gallifreyanische Kultur, aber nichts Ausführliches. Wie es sein sollte. Denn niemand vergießt Tränen über ein Duell mit Rassilon. Niemand bricht in spontane Jubelstürme aus, wenn der Höhepunkt der Folge daraus besteht, dass der Doctor es mit ein paar alten Männern in komischen Hüten aufnimmt. Das ist kein gutes Storytelling.

Gutes Storytelling ist Drama zwischen Charakteren. Hell Bent erzählt eine Geschichte davon, dass Liebe manchmal so stark sein kann, so allumfassend, dass sie gefährlich wird. Das ist eine Idee, mit der sich fast jeder Mensch identifizieren kann und hier wird sie eben in Doctor Who-Sprache gefasst: Der Doctor gibt schließlich zu, dass er zu weit gegangen ist, dass er das gesamte Universum aufs Spiel gesetzt hat, der Hybrid wurde, alles nur um Clara zu retten. Und er sieht ein, dass es ein Ende haben muss. Das ist ein Finale. Das ist eine Message. Wow.

Hätte der Reddit-User das bekommen, was er wollte, hätten wir nichts davon gesehen. Stattdessen bestünde das Finale aus einer simplen Gut gegen Böse-Story, einem Doctor, dessen Handlungen keinerlei positive Emotionen als Anstoß haben und das mit dem Rest der Staffel erzählerisch praktisch nichts zu tun gehabt hätte. Die Folge hätte keinen Erfolg gehabt, außer bei den Fans, die ihre Prioritäten so merkwürdig zu legen scheinen.

Denn nimmt man diese Sichtweise und wendet sie auf alle großartigen Doctor Who-Geschichten an, bleibt nichts als langweiliger Blödsinn. The War Games und Neverland werden plötzlich öde und leer. Es gibt nichts zum Mitfiebern, nichts zum Weinen oder Jubeln. Und damit nichts, was die Zuschauer an den Fernsehern und die Serie am Leben halten könnte. Denn die Time Lords, Gallifrey und alle anderen Kunstwörter, die man mit der Serie assoziiert, waren schon immer zweitrangig. Am wichtigsten war immer die Freundschaft zwischen den Hauptcharakteren.

Und das ist das Problem mit dem am Satz, den ich am Anfang zitiert habe. Wenn es in Doctor Who wirklich darum ginge, dass der Doctor ein Time Lord ist, vom Planeten Gallifrey stammt und sich regenerieren kann, dann wäre Doctor Who in den 60er Jahren noch überhaupt nicht Doctor Who gewesen. Es dauerte 3 Jahre, bis der Doctor das erste Mal den Körper wechselte, 6 Jahre, bis er sich als Time Lord zu erkennen gab, 10 Jahre, bis wir Gallifreys Namen lernten und 11 Jahre, bis eine Regeneration das erste Mal als solche bezeichnet wurde.

Aber in all diesen Jahren war eine Sache gleich, von damals bis heute: In Doctor Who geht es um Freundschaft. Es geht um ungewöhnliche, aberwitzige und manchmal gefährliche Freundschaften zwischen Abenteurern, die unterschiedlicher nicht sein könnten und dennoch einander schätzen lernen. Nimm Gallifrey weg, nimm die Time Lords weg und Doctor Who ist immer noch Doctor Who. Nimm Freundschaft, Liebe und Hoffnung weg, und die beste Serie aller Zeiten platzt wie ein Ballon.


Foto © BBC

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