Als vor einigen Tagen bekanntgegeben wurde, dass Steven Moffat nach Staffel 10 seinen Posten als Doctor Who-Boss aufgeben wird, waren überwiegend versöhnliche Stimmen zu hören. Man hätte fast meinen können, der Internetdiskurs der letzten Jahre hätte noch aus etwas wesentlich anderem als „Moffat lutscht, bringt RTD zurück“ und „Moffat hat Doctor Who ruiniert!“ bestanden. Sogar auf der sonst so sehr von Hate zerfressenen offiziellen Doctor Who-Facebookseite waren die Kommentare über Moffat größtenteils positiv. Manchmal weiß man wohl erst, was man hat, wenn es nicht mehr da ist.
Vielleicht lag der Stimmungsumschwung aber auch an dem zweiten Namen in der Nachricht: Chris Chibnall war zwar schon seit Monaten als Moffats Nachfolger gehandelt worden, aber viel Enthusiasmus konnten die Fans für ihn nicht aufbringen. Anders als Steven Moffat, der sich schon vor seiner Übernahme des Showrunnerthrons mit Episoden wie Blink oder The Empty Child zum Fan-Liebling ge-timey-wimey-t hatte, sind Chibnalls bisherige Beiträge zum Doctor Who-Universum tendenziell eher für ihre Mittelmäßigkeit bekannt.
Es ist zwar kein Shitstorm ausgebrochen und noch haben nur wenige den Untergang Doctor Whos prophezeit (eine der liebsten Beschäftigungen von Whovians), doch Chibnalls Nominierung wurde insgesamt eher mit einem Schulterzucken als mit großer Vorfreude aufgenommen. Dabei ist Chris Chibnall von allen Kandidaten die eindeutig beste Wahl. Wenn irgendjemand für die massive Aufgabe gewappnet ist, den vielleicht erfolgreichsten Produzenten der Doctor Who-Geschichte abzulösen, dann er. Denn er bringt alles mit, was für den Job notwendig ist:
Know-How
Genau wie Russell T Davies und Steven Moffat gehörte auch Chris Chibnall zu einer Generation, die mit der klassischen Serie aufwuchs. Der kleine Chris war ein klassischer Fanboy, schrieb Doctor Who-Liedtexte und erschien als Teenager sogar in einer BBC-Feedbackrunde, um den Produzenten von Colin Bakers zweiter Staffel ordentlich seine (missbilligende) Meinung zu geigen. Das zeigt gleich mehrere Dinge: Erstens, dass er Geschmack hat, denn Colin Bakers Ära war in der Tat ein intergalaktischer Griff ins Klo, und zweitens, dass er genau die Leidenschaft und Expertise mitbringt, die es für seine Stelle braucht.
Erfahrung
Einer der wesentlichen Gründe, warum Chibnall so lange hartnäckig im Gespräch blieb, ist seine Erfolgsbilanz als Showrunner seiner eigenen Serien. Auch wenn es auf dem Papier der Job von Russell T Davies war, war Chibnall als für einen wesentlichen Teil der ersten zwei Staffeln von Torchwood verantwortlich. Danach arbeitete er zeitweise als Showrunner für die Serien Law and Order: UK und Camelot, bis er 2013 mit dem David Tennant-Krimidrama Broadchurch seinen ersten großen Hit landete.
Doctor Who ist im Moment die wichtigste und lukrativste Drama-Serie der BBC und würde als solche nie in ungeübte Hände fallen. Chibnall kennt sich in der Branche aus, weiß wie man mit einem Autorenteam zusammenarbeitet und wie man eine Serie zum Erfolg führt. Das wird nicht nur bei den kreativen Aufgaben seines Jobs, sondern auch bei den vielen alltäglichen Fragen der Produktion und der Öffentlichkeitsarbeit helfen. Da kann es nämlich schnell einmal stressig werden.
Vielseitigkeit
Zugegeben, keine von Chibnalls Doctor Who-Episoden bisher ist ein riesiger Publikumsliebling. Doch dafür, dass die Idee für fast jede seiner Folgen an ihn herangetragen wurde und er deshalb nur eingeschränkt kreativ werden durfte, sind die Ergebnisse beachtlich. Vor allem wenn man bedenkt, wie unterschiedlich sie alle sind: Chibnalls Folgen bis jetzt waren 42, The Hungry Earth/Cold Blood, Dinosaurs on a Spaceship und The Power of Three. Hier reiht sich Platzangst-Horror an Weltraumabenteuer, kosmische Comedy an intimes Charakterdrama.
Anders als bei den meisten seiner Autorenkollegen lassen sich Chibnalls Skripte nicht einfach in eine Schublade stecken. Selbst innerhalb der Folgen kann es zu abrupten Wendungen kommen. So beginnt Dinosaurs on a Spaceship beispielsweise mit leichtsinnigem Slapstick, verwandelt sich aber mit der Enthüllung des Bösewichts in ein düsteres und unangenehmes Drama.
Auch abseits von Doctor Who hat Chibnall seine Wandelbarkeit unter Beweis gestellt. Neben aufwühlenden Krimis und Science-Fiction war er auch für das Fußballdrama United und einige Folgen von Life on Mars zuständig, alles mit respektablem Erfolg. Und das ist gut, denn gerade diese Vielseitigkeit ist für eine Serie, die überall und jederzeit spielt, natürlich eine der wichtigsten Voraussetzungen.
Können
Der wahrscheinlich relavanteste Punkt ganz am Schluss: Auch wenn Chibnall bei einigen seiner bisherigen Doctor Who- und Torchwood-Folgen vom Format der Folgen, vorgegebenen Plotpunkten oder bizarren Design-Entscheidungen im Stich gelassen wurde, seine Skripte haben es in sich. Ob die langsam aufbauende Spannung in The Hungry Earth, die schnellen sitcomhaften Dialoge in Dinosaurs on a Spaceship oder die langsame Invasion in The Power of Three, jedes Mal wenn ihm freie Hand gelassen wird, macht er das Beste daraus.
Seine Skripte gaben uns tolle Nebencharaktere wie Rorys Vater und die Silurianerin Alaya, kreative Monster wie die Sonnenwesen in 42 und emotionale Highlights wie die letzten offenen Gespräche zwischen dem Doctor und Amy. Und für Torchwood steuerte er einige der besten Episoden bei, darunter Countrycide, Kiss Kiss Bang Bang, Adrift und Exit Wounds.
Chibnall weiß genau, wie man Charaktere aufbaut und gegeneinander ausspielt, er weiß, wie man eine Geschichte so gestaltet, dass sie die gesamte Laufzeit über spannend bleibt, er weiß wie man Charakterentwicklung und Handlungsfortschritt erfolgreich unter einen Hut bringt und vor allem, und dies ist wohl sein Spezialgebiet, beherrscht er die Kunst des emotionalen Schlags in die Magengrube wie kein Zweiter.
Es ist nicht ganz leicht, sich vorzustellen, wie Chris Chibnalls ganz eigene Interpretation von Doctor Who aussehen wird – doch das ist kein Nachteil. Im Gegenteil, bei einer Serie mit einer solchen Brandbreite an Möglichkeiten, ist da ein wenig Unberechenbarkeit nicht genau das, was man sich wünscht? Steven Moffat wird wohl aufs Erste mein Lieblings-Who-Autor bleiben, dafür habe ich mich zu sehr in seine Geschichten und Charaktere verknallt, aber ich habe Vertrauen, dass Chibnall uns genauso verzaubern wird wie seine Vorgänger. Man muss ihm nur die Chance dazu geben.
Foto aus The Power of Three, © BBC