Kritik: Doctor Who – The Empty Child/The Doctor Dances

Series 1, Episode 9 & 10
Deutscher Titel: Das leere Kind/Der Doktor tanzt
mit Christopher Eccleston und Billie Piper
Drehbuch: Steven Moffat
Regie: James Hawes
2×45 Min. / Erstausstrahlung 21. & 28.5.2005

A

Der Steven Moffat, der im Jahr 2004 mit der Arbeit an seinen ersten beiden Doctor Who-Folgen begann, hatte auf den ersten Blick nur wenig mit dem Steven Moffat gemein, der vorgestern seinen Rücktritt bekanntgegeben und mittlerweile einen Joss Whedon-artigen Status als Rockstar-Produzent erreicht hat. Moffat war bekannt als Sitcom-Autor. Er war eine junge, wilde Stimme in der britischen TV-Landschaft, doch niemand hatte ihm je etwas wirklich Wichtiges anvertraut. Nun änderte sich das. Mit der einzigen Doppelfolge, die nicht aus der Feder von Chefautor Russell T Davies stammten, hatte er schon im ersten Jahr einen Status gewonnen, den er bis heute hält.

Dabei schlugen diese beiden Folgen eigentlich nicht gerade ein wie eine Bombe. Die Einschaltquoten waren durchschnittlich, die Resonanz vom breiten Publikum hätte besser sein können. Und doch findet man heutzutage wohl kaum einen Doctor Who-Fan, der The Empty Child und The Doctor Dances nicht für einen absoluten Klassiker hält. Und auch wenn ich fast alles, was Steven Moffat uns seitdem noch in Sachen Who beschert hat, liebe, manchmal komme ich nicht über das Gefühl hinweg, dass er seinen ersten Auftritt nie ganz übertroffen hat.

Ein Grund dafür ist vielleicht, dass all das, was wir heute als typische Moffatismen kennen, damals noch brandneu war: Der mühelose Spagat zwischen Drama und Comedy. Der Antagonist gewordene Kindheitsalbtraum. Das bedingungslose Happy End. Auch wenn die beiden Folgen komplett ohne Zeitreisespielereien auskommen, etabliert sich Moffats Stimme bereits von der ersten Minute. Sein Comedy-Hintergrund ist deutlich zu hören, fast jede zweite Zeile ist ein Gag, und doch strahlt die Geschichte durchgehend eine unheimliche und merkwürdig neblige Atmosphäre aus. Wir sind sein Talent für diese Art von Skript mittlerweile gewöhnt, doch ursprünglich war dies schließlich ein neuer, ungewohnter Ansatz, der auch schrecklich hätte fehlschlagen können.

Nicht nur Moffat gebührt die Anerkennung dafür, dass dieser unmögliche Kontrast zwischen Sitcomdialogen und Gruselgeschichte so mühelos funktioniert, sondern vor allem auch Regisseur James Hawes. Das Wort „Atmosphäre“ ist bereits gefallen, doch ich könnte es eigentlich noch fünfzigmal wiederholen, so wichtig und genial ist sie für das Gelingen der beiden Folgen. Es liegt eine Melancholie in der Luft, eine Ungewissheit, eine unterschwellige Furcht vor dem, was sich im Augenwinkel verstecken könnte.

Der Einsatz von Musik, Schnitt und Kamera, ja sogar die Beleuchtung (vor allem eigentlich die Beleuchtung) geben den Folgen ihre ganz eigene Identität, unvergleichbar mit all denen, die davor oder danach kamen. Und diese Einzigartigkeit, dieser wohlige Schauer und dieses wunderschöne unheimliche Schimmern erzeugen zusammen eine Stimmung, die mich jedes Mal neu in die Geschichte hineinzieht, selbst wenn ich nur einen Ausschnitt oder ein Bild sehe.

Und dann wäre da noch das, was tatsächlich passiert und Rassilon möge Blitze auf mich schleudern, wenn sich in den ersten paar Jahren des Doctor Who-Revivals noch irgendwo anders so viele neue ikonische Elemente auf einem Haufen befunden haben. Begonnen beim Empty Child höchstselbst, das nicht nur gruselig wie Sau ist, sondern auch „Are you my mummy?“ zu einer der meistzitierten Zeilen der Serie gemacht hat, über die Einführung von Captain Jack Harkness, der hier noch von der gleichen Ungewissheit umgeben ist wie alles andere in den Folgen bis hin zum herzzerreißenden Ende, in dem die Nanogenes ihre eigenen Fehler rückgängig machen und der Doctor überglücklich ausruft: „Just this once: Everybody lives!“

Ein neuer Doctor Who-Trend war geboren, der für den langfristigen Erfolg des Neustarts 2005 wahnsinnig wichtig war: Dass die wichtigsten und erinnerungswürdigsten Momente, die die später in Clipshows und Fanfictions landen, nicht unbedingt auch die für die Handlung größten sein müssen, sondern dass sie sie sich auch verstecken können, mitten in einer Staffel, ohne irgendeine wesentliche Auswirkung auf den Plot der nächsten Folgen zu haben.

Als der Doctor in den letzten Minuten des zweiten Teils beginnt, zu Glenn Millers In the Mood zu tanzen und schließlich mit Rose gemeinsam durch die TARDIS schwingt, hat das nichts mit dem übergreifenden Plot zu tun. Es passiert eigentlich überhaupt nichts von Relevanz. Doch es ein magischer, wunderschöner kleiner Moment, jedes bisschen so wichtig wie Rose, die das Herz der TARDIS öffnet oder dreizehn Doctoren, die gemeinsam ihren Planeten retten. Er zeigt: Diese neue, unerprobte, jederzeit gefährdete neue Version von Doctor Who hat Charakter, sie hat Leben und sie hat Herz. Letzteres sogar genug für zwei.


Fotos © BBC via DVDBash

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