Kritik: Doctor Who – Staffel 9

Im Mai dieses Jahres gab Steven Moffat der Radio Times ein außergewöhnliches Interview. Anlass war das zehnjährige Jubiläum der Wiederbelebung von Doctor Who. „Ich will ehrlich sein, als ich Doctor Who übernahm, das war ungefähr in der Mitte dieser zehn Jahre, dachte ich – und es wurde mir mehr oder weniger so gesagt – ich wäre da, um den sanften, respektablen und angemessenen Niedergang zu verwalten. Denn das ist was mit Serien passiert, die für eine Weile laufen. Sie springen nicht von einer Klippe. Sie sinken gemächlich ab. Jede große Show wird weniger groß, das ist die Realität.“

Und grundsätzlich stimmt das auch. Wie viele Serien gibt es, die nach zehn Jahren noch nennenswerte Höhepunkte abliefern? Oder gar nach zweiundfünfzig? Serien sinken ab, sie werden steif, ihnen gehen die Ideen aus. So war es immer, so wird es immer sein. So sind die Regeln. Nur eines hatten die Bosse der BBC nicht auf dem Schirm: Doctor Who ist keine normale Serie. Und hat sich noch nie um irgendwelche Regeln geschert. Spätestens seit William Hartnell 1966 in The Tenth Planet zusammenbrach und anstelle von ihm plötzlich Patrick Troughton auf dem Boden lag.

Denn nicht nur weigert sich Doctor Who jedes Jahr aufs Neue, in die Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, bricht weltweit neue Quotenrekorde und festigt seinen Status als Geek-Gigant immer mehr, auch die Qualität der Geschichten zeigt sich unbeeindruckt von Alterserscheinungen. Staffel 9 war die erste Staffel seit dem Neustart 2005, die ohne eine große vermarktbare Veränderung auskam. Kein neuer Doctor, keine neue Companion, keine medienwirksamen Dreharbeiten in den USA. Stattdessen: „Same old, same old, just the Doctor and Clara Oswald in the TARDIS.“ Ein Team, das sich gefunden hat. Das eingespielt ist. Und ein letztes Mal auf Abenteuerreise geht.

Und trotz dem Fehlen eines solchen It-Faktors wirkte Staffel 9 nicht nur frisch und unverbraucht, sondern war – Hand aufs Herz – die beste Doctor Who-Staffel, vermutlich aller Zeiten. Das ist ein heftiges Statement, aber ich hatte eine Woche Zeit, darüber nachzudenken und es fühlt sich absolut richtig an. In keiner anderen Staffel war das Niveau sowohl der individuellen Folgen als auch der größeren Geschichte als Ganzes so durchgehend hoch. Nicht nur folgt Geniestreich auf Highlight, Highlight auf Geniestreich, die Staffel ist auch ein rundes Gesamtkunstwerk wie nur keine vor ihr.

Es gibt unzählige Gründe, die die Staffel zu diesem Meisterwerk gemacht haben, viele davon verschwinden klein, aber es gibt auch einige große, die gerade den Kontrast zu den vorangegangen Jahren eindeutig machen. Also will ich es vermeiden, in den üblichen Review-Laber-Modus zu verfallen und mache den Rest dieses Artikels stattdessen etwas geordneter. Also bitte, drei Gründe für den Erfolg von Staffel 9:


Storys für Peter Capaldi

Jedes Mal, wenn ein neuer Doctor das TARDIS-Cockpit übernimmt, gibt es zunächst eine merkwürdige Übergangsphase. Skripte, die ursprünglich noch für den alten Doctor geplant waren, müssen umgeschrieben werden, das Autorenteam ist sich noch unsicher über den Charakter des neuen Schauspielers, weil der neue Doctor sich erst noch ein wenig finden muss. Staffel 8 trieb dieses Phänomen bewusst auf die Spitze, indem sie den Doctor in eine 12 Folgen lange Sinnkrise stürzte, während der er sich nicht einmal über seine eigene Identität sicher war.

Es war ein kühner Schachzug, der sich mit toller Charakterentwicklung auszahlte, aber gleichzeitig auch manche Fans verunsicherte. Der Doctor wirkte unnahbar, unberechenbar, fast ein bisschen zu außerirdisch. Und der Erzählfokus verschob sich von ihm zu Clara, was denjenigen Fans, die mit ihr nicht viel anfangen können, wenig gefiel. Auch wirkten einzelne Folgen etwas deplatziert. Episoden wie Robot of Sherwood, Time Heist oder In the Forest of the Night hätten sich mit einem Schauspieler wie Matt Smith wahrscheinlich besser angefühlt, Peter Capaldi hingegen wirkte bisweilen fast ein wenig wie ein Fremdkörper.

Dieses Problem spielt jetzt keine Rolle mehr. Staffel 9 bestand durchgehend aus Capaldi-Geschichten, mit Capaldi-Momenten und erzählt im Capaldi-Tempo. Matt Smith war ein hektischer Doctor, er rannte viel herum und war ständig von einem Haufen Leuten und Explosionen umgeben. Wenn er allein war, stimmte etwas nicht. Die Geschichten nutzten diese Eigenschaft, indem sie seine Momente der Einsamkeit in Episoden wie The God Complex oder The Snowmen besonders heraustreten ließen.

Doch Capaldi ist anders. Wenn Peter Capaldi im Bild ist, braucht es keine andere Action mehr. Er allein und ein Gesprächspartner genügt. Und das hat er dieses Jahr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Sei es in seinen Konfrontationen mit Davros oder dem Fisher King, in seinen Gesprächen mit Me, seiner zehnminütigen flammenden Antikriegsrede in The Zygon Inversion oder natürlich in Heaven Sent, wo er 55 Minuten die Handlung alleine schultert. Die Skripte und Regisseure haben ihn sowohl als Schauspieler als auch als Charakter verstanden und das führte zu Folgen, die all seine Stärken perfekt ausnutzen können.


Moffat Unleashed

Steven Moffat ist ein Genie. Selbst seine Kritiker müssen ihm das irgendwie zugestehen. Alles was der Mann von sich gibt, sei es in einem Interview bei einer Convention, in seiner Doctor Who Magazine-Kolumne oder in Form von Doctor Who-Dialogen, ist absolutes Gold wert. Das heißt nicht, dass er als Autor frei von Fehlern ist, aber er ist – da lehne ich mich einfach mal aus dem Fenster – vielleicht der beste, der je über längere Zeit für Doctor Who geschrieben hat. Es ist kein Wunder, dass er auch nach seiner Übernahme der Produktion 2010 immer noch die konstant erfolgreichsten Episoden schreibt.

Aber was unterscheidet Staffel 9-Moffat von Staffel 8-Moffat? Nun, Staffel 8-Moffat schien sich mit seinen Geschichten hauptsächlich vorzubereiten, den Weg zu ebnen für den eigentlichen Knaller. Und der kam dieses Jahr. Moffat hat in Interviews verraten, dass er zwischenzeitlich davon ausging, Doctor Who nach der Weihnachtsfolge zu verlassen und das erklärt recht eindeutig, warum er für Staffel 9 so durchdrehte und alles machte, was er wohl schon immer einmal machen wollte, aber bisher nur keine Gelegenheit dazu bekam.

Also gab er uns Davros. Er gab uns alle Daleks aller Zeiten in der gleichen Szene. Er gab uns Missy und Davros zusammen. Er gab uns einen weiteren Baustein der unendlichen Gallifrey-Mythologie in Form des Hybrids. Er gab uns einen ganzen Haufen experimenteller Episoden, darunter eine Capaldi-Solo-Folge. Er gab uns Gallifrey und einen Doctor am Rande der Verzweiflung, bereit, das gesamte Universum aufs Spiel zu setzen.

Im August veröffentlichte ich einen Artikel namens Die neue Doctor Who-Staffel ist offiziell durchgeknallt und jetzt ist auch klar, warum. Als Moffat dachte, es wäre sein Abschiedsjahr, warf er noch einmal alles in den Topf, ließ sich von niemandem beirren und schrieb frei von irgendwelchen Einschränkungen. Wie Doctor Who eben am besten funktioniert. Es bleibt nur die Frage: Wo er jetzt doch noch ein Jahr bleibt, wie will er das toppen?


Arc-Kram

Sie ist jedes Jahr Anlass für Aufregung und rollende Augen: Die „Arc“, der Erzählbogen, der die gesamte Staffel überspannt. In den ersten vier Staffeln waren die Arcs eigentlich kaum der Rede wert und bestanden lediglich aus Easter Eggs wie „Bad Wolf“-Graffiti. Stattdessen konzentrierte sich Chef-Autor Russell T Davies vor allem auf die Handlung zwischen den Charakteren, auf Beziehungsdrama, fast schon seifenopern-mäßig.

Als Steven Moffat schließlich übernahm, ging er einen anderen Weg. Seine übergreifenden Geschichten waren komplexer, verworrener. In Staffel 6 stellte fast jede Folge einen Teil der größeren Story dar, die mit dem Tod des Doctors begann und mit einem Universum ohne Zeit endete. Oder streng genommen endete dieser Handlungsstrang erst zwei Jahre später in The Time of the Doctor, als sich die Silence auf dem Planeten Trenzalore gründete, um den Doctor am Zurückbringen der Time Lords zu hindern. Eine Aufgabe, die manche von ihnen so ernst nahmen, dass sie sich die ganze Inkarnation dieses Doctors zum Feind machten und für alle großen Ereignisse in seinem Leben direkt oder indirekt verantwortlich waren.

Die Silence-Arc ist vielleicht die ambitionierteste Geschichte, die Doctor Who je erzählt hat. Sie sorgte für einige tolle Folgen, schaffte es aber letztendlich nicht ganz, ihr eigenes Gewicht zu tragen. Dafür ließ sie uns einfach mit zu vielen unbeantworteten Fragen und ungenutzen Chancen zurück.

Mit Staffel 8 ging Moffat unerwartet wieder den Davies-Weg. Einen großen Plot gab es nicht, stattdessen nur hin und wieder Verweise auf die mysteriöse Missy und das von ihr verwaltete Jenseits. Der eigentliche Plot wurde von Clara und dem Doctor getragen und bestand aus dem Auf und Ab ihrer Beziehung. Auf seine Weise ähnlich ambitioniert, nahm diese Herangehensweise der Staffel ein wenig die Spannung. Das Finale fühlte sich eher wie eine von vielen Folgen und nicht wie der große Höhepunkt an und es gab kaum Handlungsstränge, die zu Ende geführt werden könnten.

In Staffel 9 wurde nun die perfekte Balance gefunden: Auf der einen Seite das erwachsene und menschliche Charakter-Drama zwischen dem Doctor und Clara, das Peter Capaldi und Jenna Coleman als mittlerweile perfekt eingespieltes Team liebevoll zum Leben erwecken. Und auf der anderen Seite ein Haufen von Hinweisen, versteckten Spuren und wiederkehrenden Charakteren, die die Staffel wie eine große runde Geschichte wirken lassen. Ganz zu schweigen von der thematischen Vielfalt und Implikation dieser Geschichte. Sowohl Charaktere als auch Plot sind in dieser Staffel ausreichend untergebracht worden und dass dieses Unterfangen nicht gerade einfach ist, zeigt sich daran, dass es neun Anläufe gebraucht hat, bis es endlich komplett gelang.


Ich könnte noch unzählige weitere Punkte dieser Art aufzählen, aber irgendwann will ich ja auch noch über etwas anderes schreiben. Und ich bin in den vergangenen zwölf Wochen schon mehr als genug Gedanken zur Staffel losgeworden. Mein Fazit ist simpel und eindeutig: Staffel 9 ist die beste Doctor Who-Staffel. Seit dem Reboot auf jeden Fall. Die einzige Konkurrenz, die mir einfällt, ist Tom Bakers erstes Jahr, Staffel 12 der klassischen Serie. Aber die hatte kein Heaven Sent.


Review der Staffel

The Magician’s Apprentice 

Kritik (A-) | Spoiler Zone

The Witch’s Familiar 

Kritik (A-) | Spoiler Zone

Under the Lake

Kritik (B) | Spoiler Zone

Before the Flood

Kritik (B+) | Spoiler Zone

The Girl Who Died

Kritik (A) | Spoiler Zone

The Woman Who Lived

Kritik (C+) | Spoiler Zone

The Zygon Invasion

Kritik (A-) | Spoiler Zone

The Zygon Inversion

Kritik (A) | Spoiler Zone

Sleep No More

Kritik (A-) | Spoiler Zone

Face the Raven

Kritik (A-) | Spoiler Zone

Heaven Sent

Kritik (A) | Spoiler Zone

Hell Bent

Kritik (A) | Spoiler Zone


Fotos © BBC

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