Series 9, Episode 12
Deutscher Titel: In Teufels Küche
mit Peter Capaldi
Drehbuch: Steven Moffat
Regie: Rachel Talalay
65 Min. / Erstausstrahlung 5.12.2015
A
Vor einigen Jahren hatte Doctor Who-Chefautor Russell T. Davies ein Problem. Er befand sich gerade in den Vorbereitungen für die vierte Staffel der von ihm wiederbelebten Serie und er machte sich Sorgen, dass es keine aufregenden Dinge mehr für den Doctor zu tun gäbe. In einer Email an seinen Freund Benjamin Cook erwähnte er, er hätte kurz darüber nachgedacht, die Geschichte von Gallifrey so umzuschreiben, dass der Doctor für das Entstehen seines Heimatplaneten verantwortlich sein würde. Er verwarf die Idee jedoch sofort wieder, das allerdings nicht, weil eine solche Geschichte zu tief in die Mythologie von Doctor Who eindringen würde. Im Gegenteil, Davies ging einfach davon aus, dass sich kein Mensch dafür interessieren würde, dass der Doctor die Time Lords, einen Haufen Schreihälse mit komischen Hüten, erschaffen hätte.
Der Doctor hat eine komplizierte Hassliebe mit den Time Lords – und genauso haben es die Autoren und Zuschauer von Doctor Who. Für den Doctor sind sie einerseits verachtenswerte Bürokraten und andererseits immer noch das Volk seiner Heimat. Für uns Zuschauer sowie Russell T. Davies und Steven Moffat sind die Time Lords zwar einerseits mythisch und spannend, aber andererseits auch irgendwie todlangweilig. Seien wir ehrlich: Der beste Auftritt der Time Lords in der klassischen Serie war 1969 in The War Games, als sie fast völlig ohne Erklärung plötzlich auf der Bildfläche erschienen, mächtig, mysteriös und unglaublich aufregend. Doch mit jedem weiteren Auftritt wurden sie langweiliger. Mit jeder Minute, die die Serie auf Gallifrey oder in dessen Nähe verbrachte, mutierten deren Bewohner immer mehr zu drögen bürokratischen Schlaftabletten, deren mysteriöser Faktor sich fast komplett verabschiedet hatte und einem selbstzufriedenen und pompösen Rumgeschreie von Titeln und Einbildungen gewichen war.
Die Time Lords funktionieren immer am Besten, wenn sie sich im Hintergrund halten und selbst keine zu große Rolle spielen. Sowohl Davies als auch Moffat hatten das erkannt und Gallifrey deshalb zehn Jahre lang versteckt gehalten. Ihre Abwesenheit machte die Time Lords erst wieder spannend. Kein Wunder also, dass das Finale der neunten Staffel einen gigantischen Hype auslöste. Der Doctor ist zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder auf Gallifrey! Die Time Lords sind wieder da! Soviel Potential für Rassilon, Omega, den Valeyard, die Matrix und viele andere ominös und wichtig klingende Wörter. Doch Steven Moffat wäre nicht Steven Moffat, hätte er nicht einen Twist auf Lager. Denn nach all den Bemühungen, nach all der Vorfreude ist die größte Wendung in Hell Bent, dass es eigentlich überhaupt nicht um die Time Lords geht. Sondern um etwas viel Wichtigeres als Schreihälse mit komischen Hüten.
Eine klar erkennbare neue Linie in Peter Capaldis Zeit als Doctor ist der Fokus auf Dialogen und auf Storys, die weniger von großen Ereignissen, sondern von den Entscheidungen der Charaktere beeinflusst werden. Hell Bent geht diesen Weg konsequent zu Ende, denn Moffat hätte hier die perfekte Gelegenheit gehabt, ein Blockbuster-Finale zu drehen, Time Lords um die Wette brüllen zu lassen und in der Historie von Gallifrey zu wühlen. Aber er hat sich bewusst dagegen entschieden und stattdessen für eine Geschichte, die all das zwar streift und auch einiges an Time Lord-Action bietet, sich aber eigentlich auf etwas ganz anderes konzentriert, nämlich auf den grundsätzlichen Charakter des „Madman in a box“ und der Tatsache, dass er es einfach nicht aushält, wenn Dinge zu Ende gehen.
Es war eine mutige Entscheidung, und keine, die von allen Fans widerstandslos abgefeiert wird. Aber Moffat ist den mutigen Weg gegangen und erzählt das Finale der wahrscheinlich besten Staffel in der Geschichte von Doctor Who (ja, ich gehe so weit) nicht als großen Paukenschlag, sondern als bedächtige, kleine Melodie. Es ist die vielleicht radikalste Idee in einer Ära, die von radikalen Ideen nur so wimmelt. Und sie könnte auch gewaltig in die Hose gehen, wenn sie es nur nicht so gewaltig nicht tun würde. Denn das Charakter-Drama in Hell Bent ist nicht nur ein phänomenaler Abschluss für die Ideen dieser Staffel, sondern auch für sich genommen eine tiefgründige und erwachsene Auseinandersetzung mit Sterblichkeit und Unsterblichkeit, mit Anfängen und Enden und mit dem Platz des Doctors in diesem riesigen verrückten Universum. Es ist von Rachel Talalay atemlos toll in Szene gesetzt, von allen Schauspielern emotional und aufrichtig dargestellt und von Steven Moffats pointiertem Skript perfekt zum Leben erweckt.
Der größte Gegner von Hell Bent, und ja, anders als letzte Woche gibt es tatsächlich eine Menge Leute, die damit eher weniger anfangen können, ist nicht der Inhalt der Geschichte selbst, sondern die Erwartungshaltung der Fans vorneweg. Hier wird so viel anders gemacht als man es vorher gedacht hätte, so viel verdreht, so viel auseinandergenommen und neu zusammengesetzt, dass zwangsläufig einige auf der Strecke bleiben müssen und sagen: „Na hör mal, so geht das aber nicht!“ Und das ist okay. Doctor Who wäre nicht Doctor Who, wenn es immer allen Fans gefallen würde. Ich bin nur unendlich froh darüber, dass ich zu der Gruppe gehöre, die das, was Steven Moffat und sein Team aus der besten Serie aller Zeit gemacht haben, für schlichtweg unschlagbar halten. Als Finale einer grandiosen Staffel hat Hell Bent die emotionale Schlagkraft eines Ambosses und er verfehlt sein Ziel nicht. Ich sitze vor dem Bildschirm, leichte Tränen in den Augen und kann mein Glück nicht fassen, dass ich Fan dieser Serie sein darf. Scheiß auf die Time Lords. Doctor Who forever.
Foto © BBC