Kritik: Doctor Who – Heaven Sent

Series 9, Episode 11
Deutscher Titel: Die Angst des Doktors
mit Peter Capaldi
Drehbuch: Steven Moffat
Regie: Rachel Talalay
55 Min. / Erstausstrahlung 28.11.2015

A

Nur in Doctor Who könnte die perfekte Folge eine sein, die praktisch nichts mit dem zu tun hat, das wir normalerweise als Doctor Who kennen. Es ist tatsächlich so, fast alle Episoden, die regelmäßig als Anwärter auf den Titel „Beste Who-Folge aller Zeiten“ genannt werden, haben nur eine einzige Tatsache gemeinsam: Sie sind vollkommen anders als „typisches“ Doctor Who.

Blink blendet den Doctor fast komplett aus der Geschichte aus und erzählt sie stattdessen aus der Perspektive eines Charakters, den wir noch nie vorher gesehen haben. The Caves of Androzani lässt weltenbedrohende Mächte außen vor und erzählt stattdessen vom heroischen Opfer eines Mannes für eine junge Frau, die er gerade erst kennengelernt hat. The Day of the Doctor hat seinen Hauptcharakter dreimal und ist letztendlich eine Komödie über einen Mann, der einen Knopf nicht drücken will.

Heaven Sent bricht augenscheinlich auch so gut wie jede Regel, die im Handbuch für angehende Who-Autoren stehen müsste. Keine Zeitreisen, keine wilden Aliens, keine komischen Nebenrollen, nicht einmal die TARDIS, wenn man’s genau nimmt. Und vor allem: Kein Companion. Aber all das ist egal, wenn es im Dienste der Geschichte steht. Und die Geschichte von Heaven Sent ist eine für die Ewigkeit. Ich bin mir ziemlich sicher, gerade die beste Stunde TV des Jahres 2015 gesehen zu haben. Hiermit werden noch in dreißig Jahren Doctor Who-Folgen unvorteilhaft verglichen werden.

Die Außergewöhnlichkeit der Folge beschränkt sich allerdings nicht nur auf Steven Moffats geniales Drehbuch. Auch Regisseurin Rachel Talalay, die schon letztes Jahr mit Dark Water und Death in Heaven einen phänomenalen Einstand hinlegte, feuert hier aus allen Rohren. Genauso die Konventionen ignorierend wie ihr Ratschlaggeber Moffat inszeniert sie Heaven Sent auf eine Weise, die viel weniger mit einer Sci-Fi-Abenteuerserie für die ganze Familie zu tun hat als mit einem bizarren übernatürlichen Arthouse-Film wie Upstream Color oder Under the Skin.

Unterstützt wird sie durch technische und künstlerische Perfektion rundherum. Komponist Murray Gold verkleidet die Episode mit einem der besten und eindringlichsten Soundtracks, die je für Doctor Who gemacht wurden, Kameramann Stuart Biddlecombe bekommt den vielleicht besten und erfüllendsten Job seiner Karriere und dann wäre da natürlich noch der kleine Mann namens Peter Capaldi im Zentrum. Steven Moffat muss ihn wirklich gern haben, denn so tolles Material zum Zeigen seiner Schauspielkünste hatte vielleicht noch kein Doctor jemals. Und – natürlich – setzt Capaldi keinen Fuß falsch und nimmt die gesamte Geschichte mit nicht viel mehr als einem Zucken seiner Augenbrauen in seinen Besitz.

Noch eine Besonderheit: Heaven Sent gehört Capaldi, weil er praktisch nie das Bild verlässt. Er ist der einzige wirkliche Schauspieler hier und zeigt uns in einer ganz auf ihn konzentrierten Folge den Doctor von einer ungeahnten Seite, zwischen Trauer und Zerstörungswut, zwischen Aufgabe und Hoffnung, zwischen fest entschlossen und sehr sehr alt. Er hat allen Grund dazu, all diese Dinge zu sein.

Clara Oswald ist tot und anders als das normalerweise bei Companions der Fall ist, verließ sie die Serie nicht am Ende der Staffel. Es gibt keine Pause bis zum Christmas Special, in der der Doctor wieder zu Kräften kommen kann, nein, wir bleiben bei ihm in den direkten Momenten, nachdem er Clara verloren hat. Diese merkwürdigerweise bisher kaum genutzte Story-Idee ist der perfekte Anstoß für eine außergewöhnliche Geschichte über einen außergewöhnlichen Mann. Und die ist auch noch außergewöhnlich gut. Lustig, wie das manchmal zusammen passt. Sehr Doctor Who eben.


Fotos © BBC

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