Kritik: Doctor Who – Sleep No More

Series 9, Episode 9
Deutscher Titel: Morpheus Arme
mit Peter Capaldi und Jenna Coleman
Drehbuch: Mark Gatiss
Regie: Justin Molotnikov
45 Min. / Erstausstrahlung 14.11.2015

A-

Found Footage ist eine Plage. Zumindest für das Kino. Losgetreten vom zugegebenen ziemlich schaurigen Gruselabenteuer Blair Witch Project im Jahr 1999 treibt das wackelwütige Genre seit nun anderthalb Jahrzehnten sein Unwesen im Horrorfilmgenre und produziert einen Filmstinker nach dem anderen. Es ist leicht zu erkennen, warum: Ein Film, der den Anschein erwecken soll, von einer in der Szene selbst existierenden Kamera gedreht worden zu sein, lässt sich einfach, ohne Gebundenheit an Regeln und vor allem billig drehen. Und wenn eine Einstellung scheiße aussieht, ist das nicht einmal schlimm, dann ist es halt die Schuld der Figur, die gerade die Kamera hält.

Entsprechend skeptisch war ich bei der Ankündigung, dass Mark Gatiss‘ jährlicher Beitrag zu Doctor Who dieses Mal im Found Footage-Stil daherkommen würde. Es klang erst einmal wie ein Gimmick, wie einfach eine weitere Methode, mit dem verschwinden geringen Budget, das der Serie zur Verfügung steht, klarzukommen. Doch ich hatte dabei etwas Wichtiges vergessen: Doctor Who ist besser als Kino.

Die Skepsis blieb aber fürs Erste. Eigentlich ist die Optik von Sleep No More nämlich nichts wirklich besonderes: Eine Basisstation im All, zombieähnliche Monster, viel Herumgerenne. Und durch die vielen verschiedenen Kamerawinkel, die zur Verfügung stehen, fällt die Ego-Perspektive über die erste Hälfte der Folge oft nicht einmal auf. Doch je weiter die Geschichte voranschreitet, desto besser funktioniert der Trick. Erst einmal verleiht er einer klassischen „alle Schauspieler fallen hin und halten sich an etwas fest, damit es nach einem Beben aussieht“-Szene eine willkommene Prise Realismus. Aber dann kommt der Moment, der so viele Doctor Who-Folgen ausmacht. Die 180 Grad-Wende in der Mitte, die das bisher Gesehene komplett neu einordnet und alle Regeln neu schreibt. Der Mond ist ein Ei, die Höhlen sind voller Engel, Amy ist um drei Jahrzehnte gealtert. Der Paukenschlag, der ab jetzt den Rhythmus angibt.

Nur ist es in Sleep No More weniger ein Paukenschlag als ein langsam ansteigender Trommelwirbel, der uns nach und nach klar macht, dass wir bisher alles falsch gesehen haben. Und je lauter die Trommeln werden, desto mehr fügt sich die Geschichte zusammen – und fällt gleichzeitig wieder auseinander. Es wird klar, warum wir diese Folge als Found Footage sehen. Und als dieser Grund am Ende der Folge endlich ausformuliert ist, lässt er einen nicht mehr los. Der Titel ist durchaus ernst gemeint.

Wenn man einen Kritikpunkt loswerden muss, dann dass Sleep No More seine ganze Kraft erst in den letzten Minuten entfaltet. Über weite Strecken lebt die gruselige Stimmung nämlich mehr von Unsicherheit und Verwirrung als davon, dass tatsächlich etwas Gruseliges passiert. Die Sandmen sehen auf Bildern gruseliger aus als wenn sie sich tatsächlich bewegen und für Regisseur Justin Molotnikov, der ansonsten einen tollen Job macht, scheinen sie die einzige Schwachstelle in einer ansonsten toll (wenn auch mit sehr niedrigem Budget gedrehten) Folge sein.

Vor allem aber trägt die Episode die Handschrift ihres Autors: Mark Gatiss ist nicht nur Sherlock-Co-Schöpfer, einer der verlässlichsten Who-Autoren der letzten zehn Jahre und irre sympathisch, sondern auch durch und durch Horror-Fan. Seine Liebe zum Genre und die Gewissheit, mit der er mit Grusel-Konventionen und Genre-Tropes spielt, ist fantastisch und immer wieder eine echte Bereicherung für Doctor Who. In Sleep No More bereichert er Doctor Who gar so weit, dass man sich womöglich fragen könnte, ob das überhaupt noch Doctor Who ist. So einzigartig und ungewöhnlich ist die Folge.

Aber die Antwort ist eine Gegenfrage: Was ist überhaupt Doctor Who? Comedy über ein verrücktes Alien, das mit Menschen nicht so richtig klarkommt? Drama über politische und gesellschaftliche Themen in einem Science Fiction-Kontext? Abenteuer mit Typen in Gummianzugen? Doctor Who ist natürlich alles und nichts davon und Sleep No More ist gerade durch seine Eigentümlichkeit und seine Weigerung, sich an die Regeln zu halten, so Doctor Who, wie man sich Doctor Who nur vorstellen kann. Ein echter Triumph, der leider nicht bei allen gleich gut ankommen kann. Für die, die hiermit eher weniger anfangen konnten, gibt es dann nächste Woche keinen experimentellen Raumstation-Mitschnitt, sondern scheinbar Urban Fantasy in den Straßen von London. Welche andere Serie (oder Filmreihe) könnte zwei solche Folgen schon hintereinander packen?


Foto © BBC

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