Everybody lives!
„She might find someone she can’t bear to lose. That happens, I believe…“
Seitdem Matt Smith als Pilot der TARDIS durch Peter Capaldi ersetzt wurde, zeigt sich eine interessante Wandlung in den Geschichten von Chef-Autor Steven Moffat. Auf den ersten Blick scheint es, als würde er altbekannte Motive und Story-Elemente wiederholen, doch schaut man genau hin, verzerrt sich das Bild. Moffat wiederholt sich nicht, er dekonstruiert sich selbst und damit vieles von dem, was wir heute als Doctor Who-typisch ansehen. Und das passt perfekt zu Capaldis Doctor, der etwas düsterer und erwachsener als seine Vorgänger agiert.
Zwei gute Beispiele für solche Dekonstruktionen finden sich in Listen und Last Christmas, auch wenn sich noch viele weitere kleinere Beispiele finden lassen. Listen beginnt mit einer typischen Moffat-Idee: „Warum sprechen wir Dinge laut aus, auch wenn wir alleine sind? Weil eben doch noch jemand bei uns ist.“ Diese Idee erinnert stark an Folgen wie Silence in the Library, in der wir erfahren, dass die irrationale Angst vor der Dunkelheit eigentlich die Angst vor fleischfressenden Schwärmen im Schatten ist. Wegen dieser Vertrautheit nimmt man die Listen-Prämisse also ohne zu Hinterfragen hin, nur um am Schluss damit überrascht zu werden, dass die Idee des Doctors eigentlich falsch war und hin und wieder Angst im Dunkeln einfach nur Angst im Dunkeln sein kann, ohne übernatürliche Erklärung.
Und in Last Christmas taucht völlig ohne Erklärung der Weihnachtsmann auf und wir als Publikum sehen erst einmal keinen Grund, zu bezweifeln, dass es wirklich der Weihnachtsmann ist. Wieso auch? Erst vor ein paar Wochen haben wir schließlich erfahren, dass auch Robin Hood echt gewesen sein soll. Es dauert über eine halbe Stunde, bis jemand die Karten auf den Tisch legt und das ausspricht, was in jeder anderen Serie der erste Gedanke eines jeden Zuschauers gewesen wäre: Der Weihnachtsmann? Fliegende Rentiere? Magische Karotten? Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn! Um den Dream Crabs zu entkommen, müssen die Charaktere sich von der Märchenwelt verabschieden und zurückkehren in eine Welt ohne Santa Claus und ohne Wunder. Eine – für Doctor Who – ungewöhnlich pessimistische Lektion.
The Girl Who Died führt diese Reihe von pessimistischen Destruktionen bekannter Moffat-Motive fort, diesmal allerdings auf andere Art. Einer der Kritikpunkte, denen sich der Autor seit Jahren immer wieder ausgesetzt sieht, ist dass die Toten in seine Geschichten nur sehr selten wirklich tot bleiben. Rory, Clara, River, der Doctor selbst ein paarmal, die Opfer der Vashta Nerada und Jenny sind hier die wesentlichen Namen. Auch wenn er bereits für einige Gegenbeispiele gesorgt hat, fußt ein wesentlicher Aspekt seiner Ära auf einer immer noch ikonischen Szene aus seiner allerersten Doctor Who-Folge The Empty Child/The Doctor Dances:
Diese Szene ist das Happy End für den Doctor. Jeder überlebt und niemand trägt einen bleibenden Schaden davon. Es bewegt den Doctor so sehr, weil es so selten passiert. Und deshalb trägt er Erinnerungen wie diese immer mit sich. Für einen Mann, der seit Tausenden von Jahren zusieht, wie Menschen um ihn herum sterben, sind die Zeiten, in denen alle davonkamen, die glücklichsten überhaupt. Und die Erinnerungen daran so schön, dass er gewillt sind, weitere Zeiten zu erzwingen. Sei es auch mit Mitteln, die er sich besser überlegen sollte.
The Girl Who Died ist voll mit Zitaten, die den Doctor als tragischen Weltenwanderer zeichnen und eines davon trifft besonders: „I’m tired of losing people. Look at you, with your eyes, and your never-giving-up, and your anger, and your… kindness. One day… the memory of that will hurt so much that I won’t be able to breathe, and I’ll do what I always do. I’ll get in my box and I’ll run and I’ll run, in case all the pain ever catches up — and every place I go, it will be there.“ Dies ist die Szene, in der der Doctor sich an Caecilius erinnert, daran, dass er – wann immer möglich – Leben rettet, dass es das ist, was ihn ausmacht. Und so erzwingt er das Happy End, manipuliert Technologie der Mire, um menschliche Körper reparieren zu können und erweckt Ashildr wieder zum Leben – für immer.
Und er weiß sofort, dass er einen Fehler gemacht hat. Im Doctor Who-Universum ist nicht erst seit Captain Jack Harkness klar, dass Unsterblichkeit kein Privileg, sondern ein Fluch ist. In der wunderschönen letzten Szene der Folge sehen wir Maisie Williams erst mit neutralem Gesichtsausdruck, dann wehmütig und schließlich fest entschlossen und fast schon wutentbrannt in die Kamera starren. Hat sich der Doctor in ihr einen neuen Feind geschaffen? Hat er ein Leben ruiniert, indem er ihm die Chance genommen hat, irgendwann zu Ende zu sein? Hat er in der Hoffnung auf einen „Everybody lives“-Moment unendlich viel mehr Schaden angerichtet, als ein einfacher Tod gebracht hätte?
Diese und weitere Fragen werden sicher nächste Woche und womöglich auch noch weiter in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Die Konsequenzen von The Girl Who Died werden schlussendlich darüber entscheiden, ob wir hier womöglich eine der besten Folgen der letzten Jahre vor uns haben oder nur eine unterhaltsame Kuriosität. Hier haben Moffat und die anderen Autoren die Chance, das letzte Mal, als der Doctor so die Regeln brach, zu übertreffen: The Waters of Mars gipfelte in dem großartigen „Time Lord Victorious“-Moment, scheint aber eingeordnet ins Große und Ganze ohne große Konsequenzen gewesen zu sein. Nun ist die Möglichkeit, das anders zu machen. Größeres Potential für den zweiten Teil einer Doppelfolge gab es seit langem nicht mehr. Aber kein Druck oder so.
Ausblick
Maisie Williams kommt natürlich wieder! Aber ist The Woman Who Lived nun der zweite Teil einer Doppelfolge oder eine eigenständige Episode, die lediglich einen Charakter mit der vorangegangenen teilt? Schauplatz, Zeitepoche und – bis auf eine Ausnahme – Besetzung sind jedenfalls unterschiedlich. Die Folge spielt diesen Samstag jedenfalls auf den Straßen Englands im 17. Jahrhunderts und ist der erste Doctor Who-Beitrag von Autorin Catherine Tregenna, die bereits für Torchwood aktiv war. Damit ist The Woman Who Lived außerdem die erste Doctor Who-Folge seit 2008, die von einer Frau geschrieben wurde.
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Doctor Who Extra
Stuart Mannings Episodenposter
Ashildr und der Drache
von dovtorwho
Doctor Who und Monty Python
Fotos © BBC
Wirklich gut zusammengefasst! Ich finde diesen rauen, kratzbürstigen und trotzdem auf eine Art so verletzlichen Doktor (Traue keiner Umarmung. Sie versteckt das Gesicht.) auch unglaublich spannend.
Im Übrigen fand ich die Folge „Waters of the Mars“ insgesamt sehr passend – sie war ein Höhepunkt dieser Der-Doktor-reist-ohne-Begleitung-und-wird-größenwahnsinnig-Stimmung. Die Konsequenz daraus war doch eben, dass dieses wichtige Puzzleteil zeigen sollte, dass es für ihn Zeit wird seinen Platz für den nächsten zu räumen. Er wollte nicht, aber musste, denn so konnte es mit ihm nicht weitergehen. Das Ende des Doktors wurde damit vorweg genommen. Er dachte, alles begriffen, alles gerettet zu haben – und dann dieses viermalige Klopfen an der Scheibe … Gänsehaut. Für mich ergab die Mars-Folge deshalb gemeinsam mit den letzten Folgen ein stimmiges Bild.
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