Season 4, Folge 3
mit Patrick Troughton, Anneke Willis und Michael Craze
Drehbuch: David Whitaker & Dennis Spooner
Regie: Christopher Spooner
6 x 25 Min. / Erstausstrahlung 5.11.1966 – 10.12.1966
A
Die Bibliothek von Alexandria, das Bernsteinzimmer und unzählige andere Kultur- und Kunstwerke von unschätzbarem Wert wurden in der Geschichte von bösen oder unachtsamen Menschen daran gehindert, Teil der selbigen zu werden und sind bis heute verschwunden. Die verschollenen Folgen von Doctor Who, die zwischen 1963 und 1967 von der BBC unwiederbringlich vernichtet wurden, können sich rein vom emotionalen Wert her mühelos in diese Liste einreihen.
Zwar sind viele der in dieser Zeit ausgestrahlten Episoden seitdem in obskuren Archiven wieder aufgetaucht (erst vor zwei Jahren wurden The Web of Fear und The Enemy of the World nach einem Fund in Nigeria neu veröffentlicht), aber einige scheinen für immer verloren. Darunter auch The Power of the Daleks – und kein Verlust hinterlässt ein solches Loch wie dieser. Natürlich ist eine solche Einschätzung nicht leicht, aber ich habe ehrlich gesagt keinen Zweifel: Hätten diese Episoden überlebt, wären wir uns heute alle einig, es mit einer der besten Doctor Who-Geschichten aller Zeiten zu tun zu haben. Als Ersatz bleibt uns heute nur noch, uns mit der zum Glück noch vorhandenen Tonspur zu behelfen, sei es in Form einer Bild-für-Bild-Rekonstruktion (die es auf Dailymotion zu finden gibt) oder als Hörspiel mit zusätzlicher Erzählerstimme. Aber das reicht um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie großartig diese Story wirklich ist.
Beeindruckend ist vor allem, wie viel von dem, was wir heute als Alltags-Who wahrnehmen, eigentlich auf The Power of the Daleks zurückgeht. Auch wenn der Begriff damals noch nicht erfunden war, hier handelt es sich um die erste Geschichte, die direkt nach einer Regeneration spielt und sich mit den Folgen und Implikationen derselben auseinandersetzt. Patrick Troughtons neuer, zweiter Doctor ist von der ersten Minute an unberechenbar, wirr, irgendwie verdächtig… Seine Companions sind anfangs sogar überzeugt, es mit einem Hochstapler zu tun zu haben. Es ist kaum vorstellbar, wie es damals auf die normalen Zuschauer gewirkt haben muss, die eigentlich einen ganz anderen Hauptdarsteller gewohnt waren und sich auf einmal in einer solch ungewohnten Situation wiederfanden. Jede Regenerationsstory seitdem hat auf die eine oder andere Art bewusst versucht, diese Folge zu imitieren, manche (wie die Mini-Episode Born Again vor The Christmas Invasion) zitieren sie sogar recht offen.
Und dann, tja, wären da auch noch die Daleks. Es gibt viele Dalek-Klassiker und es gibt sie aus so gut wie jeder Ära. Um nur einige zu nennen, The Dalek Invasion of Earth, Genesis of the Daleks, Remembrance of the Daleks, Dalek und Asylum of the Daleks beweisen, dass die Viecher einfach nicht alt werden, egal wie oft sie zurückkehren. Und doch fällt es mir schwer, eine Folge zu benennen, die sie so intelligent und wirkungsvoll einsetzt wie The Power of the Daleks. Man darf nicht vergessen, vor neunundvierzig Jahren waren die Daleks auch schon Popkultur und bekannt als das personifizierte Böse oder (wie Steven Moffat es einmal ausdrückte) als Panzer mit einem Wutproblem. Und die Folge macht sich das auf clevere Art zunutze.
In einem Twist, der später auch noch vielfach kopiert werden würde, präsentieren sich die Daleks hier nämlich nicht von Anfang an als Monster. Sie erscheinen als wissenschaftliches Projekt, als Instrument des Guten. Der Doctor findet sich in einer einmalig schwierigen Situation wieder, gefangen zwischen den gefährlichsten Killermaschinen des Universums und Forschern, die ihm entweder keinen Glauben schenken wollen oder nicht wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt – und das alles mit einem brandneuen Gesicht. „I am your servant“, verkünden die Daleks ein ums andere Mal und diese verzerrten Worte aus den Metallkästen lassen es eiskalt den Rücken herunterlaufen. Eine andere besonders unbehaglichen Szene: „But I am your– friend.“
Hier zeigt sich eindrucksvoll, dass die Daleks eben tatsächlich mehr sind als hirnlose Killer. Im Gegenteil, sie haben mehr Hirn, als irgendjemandem lieb sein kann. Natürlich besteht von Anfang an kein Zweifel, dass ihre angebliche Güte und Nützlichkeit nur Teil eines hinterlistigen Plans ist, aber Zeuge davon zu werden, wie dieser Plan langsam todsicher aufgeht und wie sorgfältig das wahre Dalek-Ich sich Stück für Stück, Ereignis für Ereignis Bahn bricht, ist einer der besten dramaturgischen Bögen der klassischen Serie. Und wenn es dann endlich so weit ist und alle Karten auf dem Tisch liegen, gibt es kein Halten mehr.
Erst drehen sie durch und dann sorgen sie für ein Gemetzel. Egal wer, egal wie, jedes Lebewesen wird von den Daleks gnadenlos vernichtet. Unaufhaltsam und ausgestattet mit einer simplen tödlichen Waffe und einer einmaligen Schwarmintelligenz, verbreiten sie Terror auf einem Level, an dem sich noch Jahrzehnte später dutzende Science Fiction-Filme hätten orientieren können (hätte die Folge noch existiert). Stattdessen versuchen verschiedene Doctor Who-Folgen seitdem immer wieder, sich etwas aus dem Erfolgsrezept herauszupicken und nachzukochen, doch das klappt (siehe Victory of the Daleks) meist nur sehr mittelmäßig. In The Power of the Daleks stimmte einfach alles, jedes Puzzleteil war gerade am rechten Fleck und das zu rekonstruieren wird wohl nie wirklich möglich sein.
Dass das Konzept der Regeneration sich einmal als das wesentliche Erfolgsrezept für Doctor Who herausstellen würde, konnte 1966 noch niemand ahnen. Im Gegenteil, die Idee hätte ganz entsetzlich in die Hose gehen können. Also war es auch kein Wunder, dass man für diese essentielle Folge die wichtigsten Publikumslieblinge der Serie zurückholte, ohwohl ihr letzter Auftritt nicht einmal neun Monate zurücklag. Vermisst wurden sie trotzdem bereits. Und die Folge wurde zu einem Monument, einer beispiellos spannenden Jagd mit den besten Feinden, die der Doctor je hatte und je haben wird.
Und heute vermissen wir wieder. Wenn auch aus anderen Gründen. Die Daleks kehren immer noch jedes Jahr zurück. Nur nicht in dieser Form, mit dieser Geschichte, diesem Skript und dieser Inszenierung. Aber solange nicht alle Videokassetten auf allen Dachböden der Welt abgesucht sind, geben wir einfach mal die Hoffnung nicht auf, dass die sechs Episoden nicht doch irgendwann noch einmal auftauchen. One day, they shall come back…